Donnerstag, 3. Juli 2008

walking alone - tarja turunen und nightwish

Im Tourbus sitzen. Nach dem Gig geht es weiter in die nächste Stadt. Wenig Schlaf. Immer die gleichen Lieder. Die Fans jubeln. Oder auch nicht. Show must go on. Obwohl man völlig fertig ist, auf der Aftershowparty mit den Kollegen noch ein Bier. Oder auch ein paar mehr. Vielleicht auch was Härteres als Alkohol. Geht ja gar nicht anders, bei dem Stress.
Das ist Rock `n` Roll. Das ist das Leben, das die Fans aus zahlreichen „Rockumantarys“ kennen, das Leben, das die Künstler führen, das gar nicht „so schillernd ist, wie immer alle denken“ und das sie dennoch lieben, die Künstler, die sich „trotz all dem gar nichts anderes vorstellen könnten“ und die Fans und Groupies, die trotzdem davon träumen, denn das ist er nun mal, der authentische Rock `n` Roll. Und es ist das Leben, das Tarja Turunen nie geführt hat – und wahrscheinlich auch nie führen wollte.
Als „a distant friend of mine … of ours“ beschreibt Nightwish Mastermind Tuomas Holopainen Tarja Turunen in einem Interview für einen brasilianischen Musiksender, welches der „End Of Innocence“ DVD als Bonusmaterial beigefügt ist. Einem Interview, bei dem das gesamte Nightwish Line-Up anwesend ist, obwohl ausser Holopainen kaum einer was sagt. Das gesamte Line-Up – bis auf Frau Turunen. Zunächst nur für ein paar Demo-Aufnahmen hatte die klassisch ausgebildete Opernsopranistin ihrem „distant friend“ Tuomas, den sie von der Musikschule kannte zugesagt. Das was dabei herauskam (später unter dem Namen „Angels Fall First“ veröffentlicht) war gar nicht so schlecht und man glaubt es Holopainen sogar irgendwie, das er nicht gewusst habe, wie Turunens Stimme klinge, dass es keinen Masterplan für den Nightwish-Sound gegeben habe und wie überrascht sie alle gewesen seien, als sie das Ergebnis gehört hätten. Auch Tarja Turunen mag angenehm überrascht gewesen sein – und so arbeitete man weiter zusammen; unter Vorbehalt, bis auf weiteres. Das folgende Album „Oceanborn“ darf tatsächlich als sensationell gelten, war es doch richtungsweisend für eine ganze Stilrichtung, für den Gesang all der grossartigen Sharon den Adels, Simone Simons`, Floor Jansens etc. Natürlich hörte man nach einem solchen Erfolg nicht einfach auf. Natürlich arbeitete man nun weiter. Und so ging sie weiter, die Zweckgemeinschaft Turunen-Holopainen, bis es beim unsäglichen „Over The Hills And Faraway“ Album nicht mehr weiter zu gehen schien. Die Kluft zwischen dem ambitionierten Bandleader und der Sängerin, die nun so etwas wie ein Rock-Star wider Willen war, aber mit ihrer unvergleichlichen Stimme das ganze Projekt zusammen hielt wuchs. Heraus kam ein Album mir vier (!) neuen Aufnahmen, von denen ein Track noch eine Coverversion war, das aber dennoch marktschreierisch promotet wurde. Der Markt verlangte nach Nightwish. So raufte man sich dann doch noch mal zusammen und brachte es auf noch zwei, allerdings brillante Alben, die eine konstante musikalische Weiterentwicklung erkennen liessen. Bis es nicht mehr ging. Dann war Ende. Endgültig. „End Of Era“.
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Hoch schlugen plötzlich die Wellen. In einem offenen, im Internet publizierten Brief wurde Turunen aus der Band geworfen. Und auf einmal kam alles zur Sprache. Alles, was eigentlich von Anfang an klar gewesen war. Dass er es ihr nie vorgeworfen habe, schrieb Holopainen, dass sie nicht mit den anderen im Tourbus gereist sei, sondern mit ihrem Mann und Manager und dem Flugzeug zu den Gigs angereist sei, dass Turunen ihre Familie und Freizeit mitunter wichtiger gewesen seien als die Band und dass sie mehr darüber nachgedacht habe, wie viel Kraft Nightwish sie koste anstatt darüber, welche Kraft das Projekt ihr geben könne. Und das nun aber Schluss sei. Das es nicht mehr gehe. „Ich kann kein Lied für dich zum Singen mehr schreiben, Tarja.“ Turunen antwortete mit einem ebenso offenen, ebenso wenig feinen Brief. „End Of Era.“ Und Zeit für eine Bestandsaufnahme.
Tatsächlich beziehen sich die grossartigsten Bands des Genres aufeinander – natürlich – und auf Nightwish. Als sie eine Kassette mit den Liedern von Nightwish gehört habe, habe sie gewusst, dass sie einmal so singen wolle, weiss Sharon den Adel von Within Temptation zu berichten. All die Holländer – Epica, After Forever, Orphanage, Autumn. Und dann der ganze epigonale Scheissdreck: Xandria, Evanescence, eine Entwicklung die – zumindest in Deutschland - mit den grausamen, gecasteten Nu Pagadi kulminierte. Und tatsächlich war es grossartige Musik – Nightwish. Aber was war es noch? Grausames Coverartwork mit Ausnahme des (letzten) „Once“ Albums, Keyboard-Einsatz durch Holopainen auf der ganzen Linie, mindestens (!) ebensoviele sinnlose und überflüssige Best Of Compilations („Tales From The Elbenpath“, hier kulminierte die Sache mit dem Cover-Artwork) wie grossartige Alben.
Nachdem die Sache mit den offenen Briefen so gut gelaufen war für die Reste von Nightwish wurde ebenfalls öffentlich, ebenfalls übers Internet, mit grooossem TamTam nach einer neuen Sängerin Ausschau gehalten. Nur wer böses denken wollte, konnte sich dabei ein ganz kleines bisschen an all die televisionalen Castingshows (und als Deutscher an Nu Pagadi und „Sweetest Poison“) erinnert fühlen. Und dann war sie plötzlich da. Und mit ihr die im Internet (wieder mal) veröffentlichte Single „Eva“. Eine neue Sängerin für Nightwish war gefunden. Sie. Ich weiss leider ihren Namen gar nicht. Und habe auch keine Lust, ihn zu googeln. Denn mit ihr klingen Nightwish wie eine schlechte Kopie von sich selbst. Wie Evanescence. Epigonaler Scheissdreck. Der Vorreiter des Genres hat sich selbst gecovert. „End Of Era“.
„End Of Era“. Wenn da nicht, ja wenn… Erinnern sie sich an die Rubrik auf der vorletzten Seite der Illustrierten in Wartezimmern von Zahnarztpraxen? „Was macht eigentlich… (Heino, Bernhard Brink, Stefan Mross…) Was macht eigentlich Tarja Turunen? Nach „One Angels Dream“, was ruhiger, aber ja auch eine Weihnachtsplatte war nun „My Winterstorm“ und die Erstauskopplung „I Walk Alone“. Vorhersehbarer Titel – Wie bei Nightwish. Die Single gibt es als CD I- und CD II „Of A Two CD-Set“ – marktschreierische Vermarktung – wie bei Nightwish. Das Coverartwork erinnert zwar nicht mehr so sehr an Kinderzeichnungen wie bei „Oceanborn“, ist aber längst noch nicht „state oft the art“ – wie bei Nightwish. Und bei alledem: Wirklich grossartige Musik. Wie bei Nightwish.

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